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LAGERflaeche.de Magazin Feb. 2015 - Thema: Der Roboter denkt, der Mensch lenkt

von Prof. Dr.-Ing. Markus Krabbes

Seit etwa drei Jahrzehnten vollzieht sich der Siegeszug der Roboter in allen Bereichen der industriellen Wertschöpfung. Vom ersten Tage an begleitet diese mechanischen Kollegen hierbei der Vorwurf, Arbeitsplatzvernich-ter zu sein – und doch wuchsen in dieser Zeit besonders jene Industriebranchen in Deutschland, die Robotik konsequent ange-wandt und weiterentwickelt ha-ben. Oft wird die Hauptmotivation zur Einführung
von Robotern vergessen: die Vermeidung von Arbeiten, die für den Menschen monoton, körperlich schwer oder gar gesundheitsschädigend sind. Notwendigerweise bedarf es hierbei Produktivitätsfortschritten, welche die hohen Investitionen in Robotiksysteme rechtfertigen. Hinzu kommt ein immenser Zuwachs an Reproduzierbarkeit und Prozessstabilität und ermöglicht so manuell kaum beherrschbare Technologien. Alle diese Vorteile führten dazu, dass sich Roboteranwendungen trotz der sehr hohen Anfangsinvestitionen in vielen Bereichen durchsetzen konnten.

In den zurückliegenden Jahren ist das Vordringen der Roboter in immer neue Anwendungsfelder zu beobachten. Stets wird hierbei zunehmende Komplexität des Einsatzszenarios überwunden: geringere Losgrößen gleicher Produkte, mehr notwendige Sensorik zur Bewegungssteuerung, schwankende Werkstückeigenschaften, schwierige Handlingsituationen. Dank leistungsfähiger Sensoren, wachsender Rechenleistung, ausgefeilter Software und einem Preisverfall der Standardroboter erreichen damit jährlich neue Anwendungsgebiete ihre technische und wirtschaftliche Machbarkeit.

Bislang lag allen Robotertypen eine klare Abgrenzung zwischen Industrie- und Serviceroboter zugrunde. Industrieroboter lassen sich höchst flexibel in unterschiedlichste Anwendungsfälle integrieren. Die Anpassung erfolgt durch die als sogenannter Endeffektor montierten Werkzeuge und mit entsprechender Steuerungsprogrammierung. In der laufenden Produktion sind Industrieroboter dann kaum reaktiv und deshalb auf exakt vordefinierte Bedingungen angewiesen. Hohe mögliche Kontaktkräfte dieser Schwergewichte erzwingen die Aufstellung innerhalb einer Einhausung des Arbeitsraums.

Auf der anderen Seite weisen Serviceroboter, wie Melkroboter oder mobile Plattformen, inzwischen die deutlich höheren Verkaufszahlen auf - insbesondere in Form autonomer Heimstaubsauger oder selbstfahrender Rasenmäher. Kennzeichnend ist der vorgegebene und unumkehrbare Zuschnitt in Konstruktion und Software auf die vorgesehene Anwendung, wobei in der Steuerung alle denkbaren Reaktionen und Anpassungen für das
variierende Einsatzumfeld bereits implementiert sind. Die unverzichtbare Mobilität in einem vom Menschen (sowie weiteren Robotern) nicht abgrenzbaren Arbeitsraum beschränkt aus Sicherheitsgründen die für Serviceroboter zulässigen Kontaktkräfte.

Die beiden skizzierten Grundtypen sind in ihrer Architektur so unterschiedlich, dass der gemeinsame Wortstamm von Industrie- uns Servicerobotern schon fast verwundert. Beide Klassen verkörpern jedoch aus Sicht der Applikation einen im Wortsinne von robota (slawisch) abgeleiteten künstlichen Arbeiter und vermitteln in komplexer Umgebung mit der auf ihre Weise stets beeindruckenden Souveränität der Bewegungen eine nicht zu leugnende Menschenähnlichkeit.

Bislang basierten neue Roboteranwendungen stets darauf, eine unmittelbarere Zuordnung des Einsatzkontextes auf einen dieser bei den Grundtypen vorzunehmen. Derzeit vollzieht sich zwischen ihnen eine interessante Annäherung. Szenarien der MenschRoboter-Kooperation, wie beispielsweise handgeführte Bearbeitungsvorgänge, manuelles TeachIn oder einfach nur Assistenz als „dritte Hand“ sind so vielfältig und anspruchsvoll, dass sie nur mit einem unspezifischen Roboterkonzept nach dem Muster der Industrieroboter wirtschaftlich erschlossen werden können. Deren häufigste Vertreter bilden als sogenannte Knickarmroboter mit sechs Drehgelenken stets eine menschliche Schulter-Hand-Konfiguration nach. Da der Arbeitsraum nun aber mit dem Menschen gemeinsam genutzt wird und Objekte ggf. sogar gemeinsam bewegt werden, müssen auftretende Kontaktkräfte durch Begrenzung der Achsmomente oder frühzeitige Kollisionsvermeidung zuverlässig innerhalb zulässiger Schranken begrenzt werden. Dies gelingt durch eine komplexe Strategie, die sich aus konsequentem Leichtbau, einer Überwachung der Drehmomente in den Achsen sowie Berührungs (früh)erkennung auf den Oberflächen des Roboters zusammensetzt. Aktuelle kommerzielle Beispiele für derartige Robotertypen sind der BAXTER von Rethink Robotics, der LBR von KUKA Laboratories oder der ROBERTA von gomtec.

Die eingangs beschriebene Diskrepanz bezüglich der Wirtschaftlichkeit solcher Anwendungen tritt in kooperativen Ansätzen verstärkt hervor. Bislang sind diese hochinnovativen Systeme noch sehr kostspielig. Demgegenüber lassen sich Produktivitätsgewinne offensichtlich erst jenseits der Substitution manueller Arbeitsschritte erschließen, welcher kooperative Robotik ja im Wortsinne „zur Hand“ gehen soll. Dennoch gehört diesen Applikationen die Zukunft, denn neben einem Verzicht auf obligatorische Einhausung mit Überwachung, Beschickung usw. gewinnt dieses Szenario alle Sinne und sensomotorischen Fähigkeiten, die der Mensch ganz natürlich in diese Kooperation einbringt. Damit werden die heute „Over-Engineering“ genannten Übertreibungen für menschenleere Digitale Fabriken mit ausgefeilter visueller Objektverfolgung, intelligenten Greifstrategien oder vollautomatischen Objektflüssen wieder ein Stück zurückgedrängt. Für hochwertige individualisierte Investitionsgüter erweist sich der Mensch selbst oft als ausreichend produktiv, sofern er maschinell wirksam unterstützt und damit auch die Prozessqualität ausreichend stabilisiert wird.

Ein ähnlich „kooperatives“ Szenario entwickelt sich nun immer öfter auch aus einer anderen Herangehensweise. Bereits die Überlegung darüber, ob und wie sich ein Roboter zur Automatisierung menschlicher Handlungen einsetzen lässt, zwingt zuerst zu einer formalisierten Beschreibung der Abläufe. Was in der Großserienfertigung gang und gäbe ist, führt in vielen neuartigen Anwendungsbereichen zu massiven Produktivitätsgewinnen, noch bevor Roboter tatsächlich Verwendung finden. Beispiele sind die Chirurgie ebenso wie Routensteuerungen für Fahrzeuge oder die Kommissionierung im Postversand. Letztlich lassen sich mit einer vorgegebenen Prozessbeschreibung allerlei Unterstützungsprozesse steuern, ohne dass ein Roboter überhaupt zum Einsatz kommen muss.

Intralogistik, Robotik, Industriebranchen

Die Mischung der auf absehbare Zeit weiterhin nicht zu übertreffenden sensomotorischen Fähigkeiten des Menschen mit Assistenzsystemen, die dessen Ermüdung ebenso vermeiden wie dessen Fehler, führte bereits dazu, Roboteranwendungen zu überdenken. So ist bei variantenreicher Automobilproduktion eine Intralogistik durch Routenzüge mit (gegebenenfalls nur auf Teilstrecken) handgeführten Zugfahrzeug unter Umständen eben doch effizienter als große Farmen von Fahrerlosen Transportsystemen (FTS). Auch dem Chirurgen hilft es mehr, alle erforderlichen Informationen, Werkzeuge, Diagnosegeräte, Präparate einer häufigen Operation zum richtigen Zeitpunkt an einem streng vordefinierten Ort vorzufinden sowie vom Navigationssystem rechtzeitig Warnungen für falsch positionierte Instrumente zu erhalten, als letztlich einem Roboter beim Operieren tatenlos zuzuschauen.

 

Industrie 4.0, Intralogistik, Robotik



Ein Beispiel gefällig, bei dem Sie dieses Szenario täglich selbst erleben können? Na dann stellen Sie sich doch mal Ihren PKW ausgestattet mit allen heute erdenklichen Assistenzsystem vor! Letztlich erhalten Sie nun jede Handlungsanweisung aus dem Cockpit über das Navigationssystem, die Nummernschilderkennung usw., ansonsten werden Sie überwacht und gewarnt vor allen erkennbaren Fehlern wie zu dichtem Auffahren, Spurverlassen, falschem Überholen und auch bei Müdigkeit. Die Frage scheint berechtigt, wer denn hier eigentlich der programmgesteuerte Roboter ist. Wenn man sich aber darauf verständigt, dass ein Roboter stets das automatisierte System ist, welches den Menschen bei allen sensomotorisch geprägten Tätigkeiten durch eine eigenständige Planung, Ausführung und Überwachung von Handlungen unterstützt, kommt man schließlich zu dem Fazit: „Der Roboter denkt, der Mensch lenkt.“

 

Kontakt und Autor:
Prof. Dr.-Ing. Markus Krabbes
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig
Karl-Liebknecht-Str. 132
D-04277 Leipzig
Tel. +49 341 3076 0
markus.krabbes@htwkleipzig.de
www.htwk-leipzig.de

Prof. Dr.-Ing. Markus Krabbes, Intralogistik, Robotik


Markus Krabbes studierte an der TH Leipzig 1991-96 Elektrotechnik in der Fachrichtung Automatisierungstechnik. Anschließend promovierte er mit Forschungstätigkeiten an der TU Ilmenau, der Ott-von-GuerickeUniversität Magdeburg und dem Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik Chemnitz. Seit 2003 hat er eine Professur für Informationssysteme an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur
Leipzig inne. Seit 2011 führt er das Amt des Prorektors Forschung.